Es wäre falsch anzunehmen, dass der Ausdruck „Gleichgewicht″, wie er in der Wirtschaftswissenschaft Verwendung findet, so aufzufassen sei, als spräche ein Physiker von „Energie″ oder ein Chemiker vom „Molekül″. In diesem Kapitel soll vielmehr dargelegt werden, dass die Wirtschaftswissenschaft diesen Begriff nicht einfach nur aus der Naturwissenschaft entlehnt, sondern ihn in etwas anderes verwandelt hat. Am besten ist der Bedeutungsinhalt des ökonomischen Gleichgewichts zu erfassen, wenn man durchschaut hat, dass der Begriff hier eher im religiösen denn im streng wissenschaftlichen Sinne verwendet wird.
Zunächst werde ich die wesentlichen Merkmale zweier, einander entgegengesetzter, ontologischer Auffassungen in der Volkswirtschaft darstellen, nämlich die auf Zeitabhängigkeit* abstellende Herangehensweise und diejenige, die von einem Gleichgewicht, also einem stabilen bzw. ruhenden Zustand, ausgeht. Durch Vergleich der das Gleichgewicht behauptenden Sicht mit der mittelalterlichen Vorstellung vom „Himmel″ kann dann gezeigt werden, dass die Auswahlmechanismen der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie weniger von exoterischen bzw. erklärenden Methoden beherrscht werden als vielmehr von esoterischen bzw. ethisch-politischen Vorstellungen und die Vorstellung vom ökonomischen Gleichgewicht nur mit Blick hierauf verstanden werden kann.